Archiv der Kategorie: Beiträge von Michael Heisch

Kunstprojekt Artist Trading Cards

01_atc_diarySo 1996 initiierte der Zürcher Schriftsteller und Multimedia-Künstler M. Vänçi Stirnemann das Kunstprojekt Artist Trading Cards (ATC), welches seither international eine beachtliche Resonanz fand. Anders als die kommerziellen Trading Cards werden diese ATCs nicht von einem Hersteller gedruckt, sondern von den Tauschenden selbst hergestellt. Jeder kann Karten nach seinem Gusto gestalten und danach mittauschen.

So entstehen Unikate oder Kleinsteditionen, die allerdings nur getauscht und nicht gehandelt werden dürfen. Die Grösse einer Tauschkarte ist 6,4 x 8,9 cm, was dem amerikanischen Originalformat 2,5 x 3,5 Inch entspricht. Damit passen diese tauschbaren Kunst-Kartenobjekte auch in die Sleeves (Sammelhüllen) hinein, wo sie gesammelt und aufbewahrt werden können.

Formale Restriktionen bei gleichzeitiger völliger gestalterischer Freiheit -Technik und Motiv sind dem Produzenten/Tauschenden überlassen, der freien Fantasie und Kreativität sind oftmals keine Grenzen gesetzt. Das macht dieses Kunstprojekt besonders anregend und inspirierend.

Doch weit wichtiger als die künstlerische Qualität – immer vorausgesetzt, man macht die Karten so gut und ernsthaft wie möglich – sei der persönliche Kontakt unter den Beteiligten.

www.artist-trading-cards.ch

Renzo Spotti

Berlin scheint derzeit das New York Europas zu sein, wohin es viele Künstler und Glücksritter zieht. Dort sucht auch ein Schriftsteller – der Protagonist in «Sowohlalsauch» – Inspiration für seine Arbeit, welche ihm in Zürich verwehrt bleibt. In seiner Heimat plagen ihn nur lästige Pflichten.

Mein Sowohlalsauch. Eine EnervierungAber auch in der Spree-Metropole kommt des Künstlers leicht reizbares und mimosenhaftes Gemüt kaum zur Ruhe. Dem Geistesmenschen quälen etwa quengelnde Kinder, und sowieso umgeben ihn nur egozentrische Profilneurotiker, die mit ihrem ewigen Gelabber allen nur Zeit und Luft stehlen. Zur Zerstreuung zieht sich der Schriftsteller in sein Berliner Lieblingslokal «Sowohlalsauch» zurück. Oder er sitzt zuhause vor seiner «Hermes Baby». Einzig Glenn Goulds Interpretation der «Goldberg-Variationen» kann sein misanthropisches Unbehagen zeitweilig zügeln – ebenso die Bücher von Thomas Bernhard.

Der in Zürich geborene Jazzmusiker Renzo Spotti (*1973) legt mit seinem Erstlingswerk eine lodernde Flammenschrift vor – mit einer Wut im Bauch wie ein befreiendes Free Jazz-Solo, mit sperrigen Satzschlaufen, welche dann manchmal doch etwas zu sehr an die grossen Monologe eines Thomas Bernhards anklingen.

Michael Heisch

Renzo Spotti: «Mein Sowohlalsauch. Eine Enervierung». Verlag Periplaneta, Berlin 2009. 168 S., Fr. 26.50.

Peter Heisch, Worthülsenfrüchte

Peter Heisch (*1935) ist in der südbadischen Ortenau aufgewachsen und lebt seit über 50 Jahren in Schaffhausen, wo er bis zu seiner Pensionierung als Chefkorrektor bei den «Schaffhauser Nachrichten» tätig war.

Anders als Bastian Sick, der mit den «Zwiebelfisch»-Kolumnen auf «Spiegel Online» und seinen Bestsellern bekannt wurde («Der Genitiv ist dem Dativ sein Tod»), sind Heischs Sprachglossen eher unter den Lesern der «Schaffhauser Nachrichten» bekannt.

WorthuelsenfruechteNun hat der Schweizerische Verein für die Deutsche Sprache (SVDS) Heischs «Worthülsenfrüchte» herausgegeben. Sie zu kosten macht Spass – denn sie sind leicht bekömmlich, dem Autor sind schulmeisterliches Verhalten gänzlich unbekannt.

Kein Purist zwar, aber dennoch ein sensibler Sprachliebhaber und präziser «Wort-Aufspürer». Im Klappentext heisst es, dass die Sprache «einem ständigen Wandel unterworfen ist». Heisch rückt in seinen Sprachbetrachtungen falsche Metaphern ins rechte Licht, zeigt grammatikalische Fehler auf und geht unbedarften Redensarten auf den Grund. Oft greift er dabei auf interessante philosophische und sprachhistorische Belange zurück.

Peter Heisch Worthülsenfrüchte, 83 Sprachbetrachtungen, Hg.
Schweizerischer Verein für Deutsche Sprache, Friedrich Reinhardt Verlag,
Basel, 2009 Seiten, 26 Euro.

LAUS, Einsunk

Das Debut-Album von «LAUS» (lat. Lob) heisst «Einsunk» und ist wie eine Quersumme von zwei scheinbar entgegen gesetzten Stilrichtungen: Intensive Auseinandersetzung im Bereich der zeitgenössisch komponierten Musik trifft auf Rockband-Erfahrung. Die beiden Musiker Lorenz Haas (Perkussion, Vibraphon, Table-Guitar, Piano) und Nicola Romanò (Violoncello) sind unter anderem Mitglieder des renommierten «ensemble für neue musik zürich».

Laus

Dieser Hintergrund ist den elf Kompositionen verständlicherweise anzuhören; etwa die komplexen, rhythmischen, Schichtungen oder die ungewohnten, melodischen Linien und Harmonien. Auf dem Erstlingswerk wird das Duo Haas/Romanò um vier weitere Musiker ergänzt: Hartmut Nahor Bardig (Vocals), Wolfgang Zwiauer (Bass), Gianluca Romanò (Piano) und Crispin Perez (Drums). Abgemischt hat das Album der innovative Tontechniker S. Husky Höskulds, bekannt vor allem durch seine Zusammenarbeit mit dem US-amerikanischen Musiker und Multiinstrumentalisten Mike Patton.

Anders allerdings als Pattons rasante Stil-Zappereien (vgl. «Fantômas» oder «Mr. Bungle») sind die Kompositionen von «LAUS» sehr verdichtet und verwoben, sie tragen geradezu atmosphärische Züge. Über den Instrumentalteilen schwebt ein losgelöster Gesang und beschreibt albtraumartige Zustände (Lyrics: Gereon Gliaug Sprick.

Im besten Sinne irritieren diese richtungslosen Klangströme und lassen den Hörer streckenweise alleine auf sich gestellt. Was im ersten Moment nach sound-tüfteliger Studio-Solitüde vermuten lässt, trägt die Handschrift von Lorenz Haas, der diese spielerischen, wenn auch dunklen Klangwolken und Stimmungen auf Notenpapier brachte.

«LAUS»: «Einsunk», LC 20625, www.laus.ch