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Der Geschmack von Chlor

«Du musst dringend etwas für deinen Rücken tun», rät der Physiotherapeut dem unsportlichen Protagonisten und erteilt ihm gleich den Rat, er möge schwimmen gehen. Das stösst beim jungen Mann auf wenig Gegenliebe. «Na ja… irgendwann diese Woche muss ich dahin», telefoniert er mit einem Kollegen, der ihn anfangs bei seinen ungelenken Wassersport-Aktivitäten begleitet.

Irgendwann macht  der namenlose Protagonist dann die Bekanntschaft mit einer wahren Athletin, die ihm die motorischen Feinheiten des Schwimmens beibringt. Der anfängliche Widerwille verschwindet, die Vorfreude auf die regelmässigen Treffen im Schwimmbad überwiegt. Die Athletin und der junge Mann knüpfen eine zarte Bande. Schliesslich…

«Der Geschmack von Chlor» ist das erste Album des französischen Comiczeichners Bastien Vivès in deutscher Sprache. Was den Comic so bemerkenswert macht: Die Story kommt unaufgeregt daher und erzählt die zufällige Begegnung zweier Menschen.

Es sind diese leisen Zwischentöne, was diesen gelungenen Comicband ausmacht und der sparsame Umgang mit Farbe sowie die eindrücklichen Bewegungsstudien und die verschiedenen Blickwinkel vom Beckenrand aus gesehen. Man glaubt geradezu, selber in diese Hallenbad-Atmosphäre einzutauchen. Ein reifes Werk für den 26jährigen Zeichner aus Frankreich.

Bastien Vives

Bastien Vivès studierte Grafik und Animation an der Pariser École des Gobelins. Obschon noch ein sehr junger Zeichner kann er auf ein umfangreiches Œuvre zurückblicken. Hervorzuheben sind vor allem seine Arbeiten wie «Dans mes Yeux», «Amitié étroite» oder «Pour l’Empire», die durch eine enorme stilistische Bandbreite auf hohem Niveau bestechen.

Michael Heisch

Bastien Vivès: «Der Geschmack von Chlor», 144 Seiten, farbig, 27 x 18,5 cm, Klappenbroschur, 18 EUR/SFr. 29.80, Reprodukt, ISBN 978-3-941099-48-7.

Opulente Täler und Schluchten

Der Schweizer Bernhard »Cosey« Cosandey konnte sich mit seinem Werk »Auf der Suche nach Peter Pan« als einer der bedeutendsten, europäischen Comicautoren etablieren. Ursprünglich kam »Peter Pan« 1987 in zwei Bänden im Hamburger Verlagshaus Carlsen heraus. Nun liegt eine neu übersetzte Gesamtausgabe mit bislang unveröffentlichtem Zusatzmaterial sowie einer Cosey-Biographie vor. Diese opulente Neuauflage der viel zu lange vergriffenen Graphic Novel ist zu einem umfassenden Sammlerstück angeschwollen. Und es lohnt sich.
Comicautor

Jene »Suche« zwischen Täler und Schluchten umweht ein nostalgischer Hauch, im Grunde genommen ist die Geschichte schnell erzählt: Die Walliser Alpen, 1930. Ein abgelegener Ort in der Schweiz mit einer bezaubernden, wenn auch gefährlichen Landschaft. Die Bewohner wissen mit Naturgewalten umzugehen und wie in einer engen Gemeinschaft Allianzen zu bilden sind. In diese Abgeschiedenheit zieht es Melvin Woodworth, einen erfolgreicher Romanautor. Er sucht Inspirationen für ein neues Werk. Aber nicht nur – Woodworth ist auf der Suche nach Erinnerungen an seinen Halbbruder Dragan, einen erfolglosen Komponisten, der vor langer Zeit in dieser Bergwelt den Tod fand. Die Geschichte bietet zudem allerhand Gelegenheiten, um knorrige Personen und Charaktere einzuführen.

Da gibt es etwa den alten Falschmünzer, der permanent auf der Flucht vor der Polizei ist, einen unwirschen Kutscher und eine unbekannte Schönheit, die im Bergsee badet. Zudem klimpert ein geheimnisvoller Pianospieler nachts im Grand Hotel exakt jene Melodie, die Woodworth von seinem verstorbenen Bruder her kennt. Es ist eine Geschichte, voll gespickt mit inneren Reisen, Erinnerungen und Wünschen, und vielleicht steckt darin ebenso die Suche nach der grossen Liebe.

Das Album hat nun natürlich nichts oder nur gering mit James M. Barries Roman zu tun. Zwar werden einzelnen Kapiteln Zitate aus »Peter Pan« vorangestellt, was aber mehr oder weniger assoziativen Charakter trägt, wie sich ohnehin die einzelnen Episoden beinahe traumartig einander reihen. Coseys Erzählweise ist gewohnt ruhig und doch voller Tiefe und Intensität. Mag sein, dass der Plot ganz einer klassischen Abenteuergeschichte mit versteckten Geheimgängen folgt (die obligate Liebesgeschichte fehlt natürlich ebenso wenig).

Der Comicautor versteht es hierbei vorzüglich, ruhige Stimmungen in knisternde Spannungen umzuwandeln. Drohende Gefahren hört man geradezu anschwellen, etwas Musikalisches liegt dann plötzlich in der Luft. Es ist diese Stille unter der Eisdecke, die sich aus einem kaum merkbaren Knirschen crescendo-artig ins Unheimliche steigert und den Leser immer wieder verblüfft und fesselt. Von Michael Heisch

Cosey: »Auf der Suche nach Peter Pan«,
160 Seiten, gebunden, 26.- Euro, Cross Cult, ISBN 978-3-941248-33-5.

Experimentelle Comics

Michael Heisch und M. Vänçi Stirnemann entwickeln seit 2007 einen experimentellen Comic. Frei zu Szenen zusammen fügbare Einzelbilder bilden die Grundlage für unterschiedliche Comics. Die Möglichkeiten werden durch die Anzahl der verwendbaren Bilder gegeben. Eine herkömmlich narrative Anordnung und Erzählweise wird aufgehoben, und die Leser werden zu gleichberechtigten Autoren.

Experimentelle Comics

Experimentelle Comics

Die aktuelle Gemeinschaftsarbeit von Heisch und Stirnemann widerspiegelt die Auseinandersetzung speziell mit der Sparte der so genannten OuBaPo. OuBaPo ist die Abkürzung für Ouvroir de la Bande dessinée potentielle und hat ein illustres Vorbild: 1960 gründeten die Schriftsteller Raymond Queneau und François Le Lionnais den OuLiPo (Ouvroir de Littérature Potentielle). Die Aufgabe ist, mittels selbstauferlegter formaler und inhaltlicher Einschränkungen neue Ausrucksweisen zu (er-)finden. Im Laufe der Jahre verfeinerte sich diese Idee und ermunterte auch Künstler aus anderen Sparten zur Nachahmung, weshalb etliche Comic-Autoren OuBaPo ins Leben riefen.

In dieser experimentellen Comic-Auseinandersetzung geht es Michael Heisch und M. Vänçi Stirnemann mittels eben diesen Zwängen und (formalen) Einschränkungen u.a. eine herkömmlich narrative Anordnung und Erzählweise (subversiv) zu umgehen.

Seit 1995 pflegen Michael Heisch und M. Vänçi Stirnemann eine regelmässige und auf verschiedene Weise künstlerische Zusammenarbeit. Bereits im 2001 wurde eine Auswahl ihrer entstandenen ATCs in der Galerie Einhorn in Schaffhausen vorgestellt.